Brandi Carlile gab ihr Deutschland-Debüt in Berlin – brachte Folk, Americana und große Emotionen mit. CNTRY war vor Ort.
Es ist voll und schwitzig im ausverkauften Huxley’s, der Andrang ist groß. Nach einer Einlass-Schlange, die den ganzen Block umfasst, schlängeln sich im Inneren der Venue insbesondere Frauen am Gedränge von Garderobe und Bar vorbei, um den besten Blick auf die etablierte Americana- und Folk-Rock-Sängerin zu erhaschen.
Den musikalischen Abend eröffnet um Punkt 20 Uhr Audrey McGraw mit kraftvoller Stimme und akustischer Gitarren-Begleitung. Die Tochter der Country-Ikonen Faith Hill und Tim McGraw glänzt mit eigenen Songs wie „Purple Flowers“ oder „Beautiful When I Cry“ und virtuosem Gesang, der bisweilen an die frühen Jahre ihrer Mutter erinnert.
Schließlich betritt Brandi Carlile die Bühne und bringt den Saal auf Anhieb mit ihrem Stomp & Holler Song „Raise Hell“ zum Kochen. Begleitet wird sie von den Hanseroth Zwillingen, Phil und Tim Hanseroth, mit denen sie seit über zwanzig Jahren auf der Bühne steht. Ohne Schlagzeug, dafür aber mit Unterstützung einer Stomp Box, zwei akustischen Gitarren und einem Bass, gelingt der gebürtigen US-Amerikanerin der energiegeladene Einstieg in ein Set, das zunächst vor allem durch stampfende Rhythmen und Elemente aus Western und Bluegrass geprägt ist. Ein besonderes Highlight bilden dabei die dreistimmigen Gesangsharmonien, bestehend aus der Hauptstimme der Westcoast-Sängerin und der Begleitung der Hanseroth Zwillinge.
Brandi Carlile’s „The Story“ berührt Berlin
Dann ertönen die ersten Takte von „The Story“ – des Titels, der vor beinahe zwanzig Jahren Brandi Carliles Karriere komplett auf den Kopf gestellt hat. Mit der druckvoll-stimmgewaltigen Ballade, bei der die rockigen und zerbrechlichen Elemente ihrer Stimme gleichermaßen zur Geltung kommen, hat die 44-Jährige damals die Herzen der LGBTQIA+-Community erobert und sich musikalisch einen Namen in der US-amerikanischen Folk-Szene gemacht. Für einen kleinen Augenblick fühlt sich das Huxley’s an wie ein Ort der Begegnung: Gespräche erstummen, Regenbogenfarben werden auf Smartphones in die Höhe gereckt und wer die Worte kennt, singt sich lautstark die Seele aus dem Leib. In einigen Augen sind Tränen zu sehen, der Berliner Saal ist wie gefesselt. „Ich glaube, wir müssen wiedergutmachen, dass es uns erst jetzt gelungen ist, nach Deutschland zu kommen“, entschuldigt sich Brandi mit einem Lächeln – die Menge jubelt zustimmend.
Es folgen Songs wie „Right On Time“ oder „The Joke“, die sich als feste Größen im Repertoire der Americana-Sängerin etabliert haben, und auch ein Queen Cover oder eine am Piano begleitete Fassung des Hits „Forever Young“ von Alphaville finden Platz im Set. Ebenso wie „You Without Me“, ein aktueller Titel aus dem Album „Who Believes in Angels?“, das gemeinsam mit Superstar Elton John aufgenommen wurde und im Frühjahr dieses Jahres erschienen ist. Brandi gibt Einblicke in die bewegenden Hintergründe des Songs und berichtet von der emotionalen Beziehung zu ihren beiden Töchtern, die sie in „The Mother“ vertieft. In der Zwischenzeit wird das reduzierte Ensemble durch ein Streicher-Duo mit Cello und Violine ergänzt, das den Saal mit einem Cover von „Feeling Good“ begeistert. Genre-Grenzen verschwimmen mehrfach an diesem Donnerstagabend, der von der abwechslungsreichen Mischung aus Balladen, stampfenden Holler-Songs und vielfältigen Folk-Rock-Hymnen lebt. Nach mehr als zwei Stunden verlässt die inzwischen fünfköpfige Band unter tosendem Applaus die Bühne und ein bunter Konzertabend neigt sich dem Ende zu.
Brandi will auf ihrer „The Lost Time Tour“ verlorene Zeit wiedergutmachen – und das ist ihr an diesem Tag mehr als gelungen.