Fünf Nummer-Eins Singles in Folge, insgesamt über 2,5 Millionen Single-Verkäufe, zwei Alben ganz oben in den US-amerikanischen Country-Charts. Nimmt man diese Zahlen als Argumentationsbasis, müsste der 32-jährige Country-Musiker mit dem weißen Stetson, Dustin Lynch, ein begnadeter Musiker sein. Warum er es nicht ist, lest ihr hier in der Kritik zum neuen Album „Current Mood“.
In letzter Zeit hatte man den Eindruck, die Zeit des Bro-Country sei vorbei. Selbst Bands und Sänger, für die dieser Begriff geschaffen wurde – so Florida Georgia Line, Jason Aldean oder Luke Bryan – haben sich weitgehend von solcher Art des Genres verabschiedet. Vielmehr befindet sich die Country-Szene momentan in einer Phase, bei der die ehrliche Tradition des Musikstils in den zeitgenössischen, modernen Klang zurückkehrt. Jaren Johnston, Songwriter und Lead-Sänger der Band „The Cadillac Three“, sprach selbst vor kurzem darüber, „die Menschen wünschen sich den Sound von Hank Williams, Cash und Co. zurück“, Newcomer wie Alex Williams, Brent Cobb oder Drake White sind viel mehr klassische Singer-Songwriter, als es die heute als Megastars bekannten Gesichter des 2000er Country-Booms – Blake Shelton, Dierks Bentley oder Luke Bryan – jemals waren. Und die heutigen jungen Wilden wie etwa Thomas Rhett, Kip Moore oder Brett Eldredge vermischen Country-Klänge mit dem besten anderer Genres. So wird Country mal Pop, Alternative, Jazz, Soul oder Rock. Darüber kann man sich beschweren. All das kann man lieben oder hassen. Aber eben diese genannten Künstler, von Florida Georgia Line über Brent Cobb, Luke Bryan und Thomas Rhett versprühen eine merkbare Liebe zur Musik. Eine Musik, die sich weiterentwickeln und Grenzen austesten darf, die erdige und ehrliche Grund-Tonation des Genres aber nicht aus den Augen verliert. Ehrliche Musiker, die Musik machen, die zu ihnen passen. Den Versuch der Anbiederung außer Acht lassen.
Und damit zurück zu Dustin Lynch. Die Vorgängerwerke, welche Songs wie „Hell of a Night“, „Where It’s At“ oder „She Cranks My Tractor“ enthalten, waren keine Geniestreiche, nämlich hart durch kalkulierte Chart-Hits im Stile von Megastars wie Luke Bryan oder Jason Aldean. Alleinstellungsmerkmal gleich Null. Den Bro-Country-Hype ausgenutzt, aufgesprungen und Platten verkauft. Was aber machen, wenn diese Formel im Jahr 2017 nicht mehr zündet? Nein, man entwickelt sich nicht weiter oder kehrt zu seinen Wurzeln zurück. Dustin Lynch liefert einfach ein farbloses Potpourri der Pop-Musik ab. Ganz nach dem Grundsatz: Bekannt bin ich ja schon, der Sound ist modern und Texte über Party, Girls, Bier und Herzschmerz laufen immer.
Dustin Lynch’s herrlich uninspirierte Radio-Single „Small Town Boy“:
Dustin Lynch scheint viel auf sich zu halten. Er ist ja auch ein geiler Hengst. Wie viel Selbstverliebtheit braucht es um sechs(!) mal auf ein Albumcover zu posieren. Man müsste nur Dustin Lynch fragen – der kennt sicher die Antwort. Schade nur das musikalisch nicht viel dabei rum kommt, sodass sowohl die aktuelle Radio-Single „Small Town Boy“, „Seein‘ Red“ und der Rest der Platte einfach nicht zünden. Standard-Melodien treffen auf dümmliche Lyrics, selbst die Ballade „Love Me Or Leave Me Alone“ mit der sonst grandiosen Karen Fairchild will sich überhaupt nicht ins Gehör brennen, Lieder mit Gute-Laune Potenzial wie „Party Song“ oder „I Wish You Were Beer“ entpuppen sich als unmotivierter Einheitsbrei. Nicht nur schon tausendmal gehört, sondern auch tausendmal besser gehört.
Dustin Lynch ist ein durchschnittlicher Sänger, mit durchschnittlichen Songs. Man kauft ihm seine Musik nicht ab, zu uninspiriert gibt er sie wieder. Ehrlicher Country von begnadeten und Musik liebenden Künstlern hört sich eben anders an. Lieber Dustin Lynch, bitte ändere deine aktuelle Stimmung oder lass den Hut hängen. Moderner Country geht anders und vor allem individueller.