Stephen Wilson Jr. im Interview: „Man hat die Outlaws vermisst“

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Stephen Wilson Jr. spricht im Interview mit CNTRY offen über ein traumatisches Kindheitserlebnis, aber auch was Heimat für ihn bedeutet.

Er bezeichnet sich selbst als „Death Cab For Country“ und ist der „Son of Dad“. Stephen Wilson Jr. wurde jahrelang von seinem alleinerziehenden Vater großgezogen, der ihn ab dem siebten Lebensjahr das Boxen näherbrachte. Der promovierte Mikrobiologe fand seinen Weg in die Musikwelt erst spät. Nachdem Stephen Wilson Jr. als Songschreiber Titel für Caitlyn Smith, Brothers Osborne, Old Dominion und Logan Mize beisteuerte, unterschrieb er 2023 beim Independent Label Big Loud in Nashville. Im September des selbigen Jahres erschien das Debütalbum „Son of Dad“, gleichzeitig gab er seine ersten Konzerte in Deutschland. Für das C2C Festival in Berlin kehrte er gefeiert auf die deutsche Bühne zurück.

Warum sich Stephen Wilson Jr. schon früh durch sein Leben boxen musste, was seine Erlebnisse bei seiner Mutter damit zu tun haben und wieso die Outlaws ein Revival in der Country-Musik feiern erklärt er so offen wie ehrlich im exklusiven Interview mit CNTRY.

Stephen Wilson Jr. im exklusiven Video-Interview mit CNTRY:

CNTRY: Schön, dass du dir direkt nach deinem Auftritt Zeit hierfür nimmst. Es war übrigens unbeschreiblich gut!

Stephen Wilson Jr.: Es war unbeschreiblich? Danke dir, das ist ein großes Kompliment.

Und es war ein ziemlicher Unterschied zu deinem Auftritt gestern in der Passionskirche…

Ja, es war etwas lauter, kräftiger und schmutziger.

Was bevorzugst du, einen akustischen Auftritt oder doch lieber mit der kompletten Band?

Weder das eine noch das andere. Keines von beiden ist besser oder schlechter, sie sind einfach anders. Und ich gebe beides die gleiche Gewichtung. Mein Ziel ist es, alles zu machen. Vom Bluebird Café bis ins Bridgestone. Das ist eine große Arena in Nashville. Ich hatte schon immer die Vision einfach mit meiner Gitarre ins Bluebird gehen zu können um einen Song zu spielen. So wie gestern Abend. Aber gleichzeitig möchte ich auch in der Lage sein in einer großen Arena, und allem was dazwischen liegt, spielen zu können. Also das ganze Spektrum abzudecken. Dabei fällt es mir schwer zu sagen, was besser ist oder mir besser gefällt. Ich mag beides auf unterschiedlichen Wegen. In der akustischen Umgebung kann ich mehr Geschichten erzählen, aber ich mag es auch zu rocken. Das macht auch Spaß.

Dein Debütalbum „Son Of Dad“ ist ein 22-teiliges Kunstwerk voller Nostalgie, tiefgründigen Texten und ansteckenden Klängen…

Danke dir.

„Meine klanglichen Einflüsse sind sehr tief im Indie-Rock verwurzelt.“

– Stephen Wilson Jr.

Lass uns etwas tiefer eintauchen. Was hat dich dazu gebracht, diese Brücke zwischen Klang des Albums und dessen bedeutungsvollen Texten zu schlagen?

Ich begann zum Anfang der Corona-Pandemie an dem Album zu arbeiten. Mein Vater war gerade gestorben und dann habe ich wirklich nur versucht aufzuzeichnen, was ich durchleben musste. Deshalb liebe ich das Wort „Record“. Wir nennen Alben lieber „Records“. Es war wie eine Aufzeichnungsübung. Ich habe versucht, Aufzeichnungen darüber zu führen, was ich durchgemacht habe. Damit meine ich den Verlust meines Dads und wo die Welt aufgrund der Pandemie stand. Meine klanglichen Einflüsse sind sehr tief im Indie-Rock verwurzelt. The National, Grunge-Musik, Nirvana, Soundgarden und Pearl Jam. Das ist, was sich musikalisch in meinem Ohr festgesetzt hat. Aber ich schreibe und singe Country-Songs. Es ist wie eine Mischung aus Country-Songs, Country-Musik mit Indie-Rock und Grunge. Wenn ich Gitarre spiele möchte ich nach Indie-Rock und Grunge klingen, aber mit einem textlichen Country-Fundament.

Ich habe mich gefreut, das du heute „Holler From The Holler“ gespielt hast. Würdest du sagen, das war der Song, der dich einer breiteren Masse bekannt gemacht hat?

Ich weiß nicht, ob er es war. Ich denke aber, er erreicht viele Leute, die heftigere und lautere Musik mögen. Der Song scheint ihre Aufmerksamkeit erreicht zu haben, weil er so heftig und schwer ist. Nicht nur textlich, sondern auch klanglich. Ich glaube allerdings, andere Songs wie „Year To Be Young 1994“ haben das Netz auch weit ausgeworfen, zumindest wenn es darum geht ein breites Publikum anzusprechen. Aber ja, der Song hat mir ziemlich gut getan. Er hat ein Publikum aus allen möglichen Genres angezogen. Ich habe jetzt eine Menge Metal-Fans, also Leute, die Heavy Metal Musik mögen. Der Grund dafür sind Songs wie „Holler From The Holler“ oder „Mighty Beast“. Es war ein unglaublich kathartisches und heilsames Lied für mich. Ich hatte als Kind mit vielen Traumata zu kämpfen. Ich war Zeuge von häuslicher Gewalt. Dieser Song war eine Art Befreiungsschlag für all das. Ich konnte endlich alles loslassen. Jedes Mal, wenn ich es singe wird das ein bisschen leichter.

Stephen Wilson Jr. widmete das Musikvideo zu „Holler From The Holler“ seiner Mutter

Das Musikvideo dazu ist verdammt gut, aber auch verdammt schockierend. Wer hatte die Idee dazu?

Das war ich. Ich habe das Exposee basierend auf den Erfahrungen, die ich durch einige Stiefväter mit meiner Mutter machen musste, geschrieben. Ich habe das Video für meine Mom gemacht. Das war nur für sie. Denn sie musste so viel durchmachen. Ich wollte, das es nicht umsonst war. Ich wollte, das es nicht vergessen wird. Ich hatte das Gefühl, sie musste das alles durchleben, aber niemand wollte darüber sprechen. Ich fand, das ist ein interessanter Weg dieses Problem zu adressieren. Das ist eine sehr schockierende Realität und es war eine sehr schockierende Sache, die ich als Kind miterleben musste. Und das ist der springende Punkt. Ich liebe dieses Musikvideo, aber ich mag nicht, was dieses Kind durchmacht. Ich habe das Gefühl, dass die Menschen dadurch Empathie entwickeln können und vielleicht fangen sie an Veränderungen vorzunehmen. Anstatt Predigten vorzuhalten und ihnen zu sagen: „Hey, du musst dein Leben ändern. Du musst das anders machen!“ Zeig ihnen ein Szenario auf, selbst wenn es fiktiv ist. Ich habe als Kind niemanden mit einem Stein erschlagen. Ich habe meine Geschichte genommen und sie in ein Was-Wäre-Wenn-Szenario erweitert. Denn ich hätte ziemlich sicher dieses Kind sein können und es hätte durchaus so enden können, wie im Video. Zum Glück ist es das nicht, aber es hätte passieren können. Also wollte ich dieses Szenario einen Betroffenen zeigen. Hey, du musst vielleicht etwas ändern. Denn das hier ist das mögliche Ergebnis. Oder vielleicht etwas noch viel schlimmeres.

Ich finde das ist dir gut gelungen. Das Video hat mich jedenfalls zu Tränen gerührt…

Ich habe auch geweint, als wir es gedreht haben. Es war schwer anzusehen.

„Ich hatte als Kind mit vielen Traumata zu kämpfen.“

– Stephen Wilson Jr.

Wir müssen einen harten Schnitt machen. Aber wir bleiben bei harter Musik. Denn zehn Jahre lang hatten wir eher diesen Pop-Country und nun sind wir in der Phase, wo die Rockeinflüsse viel größer sind…

Ja, das finde ich auch. Ich denke, die Leute haben den Rock und die Geschichten vermisst. Vielleicht sogar etwas mehr Authentizität und Biss. Das kommt jetzt wieder zurück. Man hat die Outlaws vermisst. Das findet seinen Weg jetzt wieder zurück. Nicht nur textlich, sondern auch klanglich durch Rock ’n‘ Roll.

Würdest du dem zustimmen, wenn wir sagen, die Country-Musik ist der neue Classic Rock?

Nein. Classic Rock ist meiner Meinung nach eine Sache für sich. Es hat seinen eigenen Sound, eine andere lyrische Struktur und auch der Klangteppich ist ein anderer. Und ich liebe Classic Rock, er ist viel progressiver und war damals viel innovativer. In dem Sinne, dass sie gar nicht wussten, was sie taten. Sie haben einfach etwas ganz neues gemacht. Wir nennen es jetzt Classic Rock, das war es zu diesem Zeitpunkt aber noch nicht. Da sie ihr eigenes Ding durchgezogen haben. Es fällt mir vielleicht schwer damit umzugehen, aber Country-Musik ist heute größer als jemals zuvor und schafft ihre eigene Identität. Womit wir sie vergleichen können, wird die Zeit zeigen.

Stephen Wilson Jr. drückt der Country-Musik seinen eigenen Stempel auf

Zum ersten Mal habe ich deinen Namen gelesen, als ich „Hometown“ gehört habe. Aber die Version von Logan Mize. War es schwierig für dich diesen Song wegzugeben, beziehungsweise gibt es einen Song, den du niemals weggeben würdest?

Ja, da sind definitiv Songs die ich widerwillig abgeben würde. Aber ich war nur Songschreiber als Logan den Song aufgenommen hat. Ich war noch nicht der Künstler, der damit begann seine eigenen Songs aufzunehmen. Also war das nur ein fairer Schachzug. Das passierte alles bevor mein Vater starb und ich den Schritt wagte mich in der großen Musikwelt zu versuchen. Ich habe zu diesem Zeitpunkt nur Songs geschrieben, damit andere Künstler sie singen können. Ich hätte mir niemals vorstellen können, dass ich jemals der Sänger dieser Songs sein würde. Trotzdem erzählt dieser Song meine Geschichte. Und ich war froh, dass Logan sie verstanden hat, weil sie sehr ähnlich zu seiner ist. Also wollte er sie für mich erzählen. Aber dieser Song ist mein Song, er handelt von meiner Heimatstadt. Du kannst dir allerdings auch gut vorstellen, dass es die Heimatstadt von vielen verschiedenen Menschen ist. Und das hat ziemlich geholfen. In der Country-Musik lieben wir es einerseits über unsere Heimat zu singen, glorifizieren sie aber gleichzeitig. Im Rock ’n‘ Roll wird stattdessen darüber gesungen, dass du aus deiner Heimatstadt ausbrechen musst. Es geht dort um die Flucht nach vorn. Ich wiederum wollte eine Lobeshymne auf meine Heimat, ohne sie dabei anzubeten oder zu verherrlichen. Ich wollte kein Bild darstellen, das nicht wahr ist. Jedoch gleichzeitig meine Liebe und Respekt für sie aufzeigen. Dabei wollte ich nicht so tun, als ob ich unbedingt raus musste, um meine Träume zu verwirklichen. Ich wollte eher, dass man versteht, wie sehr ich die Zeit dort vermisse. Zugleich wird es nie wieder so sein wie früher. Es geht darum, dass die Heimatstadt immer in deinem Herzen bleibt.

Wird Nashville jemals deine Heimatstadt, dein Zuhause sein?

Nein. Es ist zwar wo ich wohne und wo mein Haus steht. Ich wohne westlich von Nashville, in Bon Aqua. Natürlich bin ich schon oft durch Nashville gefahren. Ich habe mit meiner Mom die ganze Kindheit dort verbracht, beziehungsweise die meiste Zeit davon. Also war Nashville schon immer ein vertrauter Teil in meinem Leben. Es war von Anfang an da, allerdings wird es nie meine Heimat sein. Aber es ist ein Zuhause.

Stephen, Vielen Dank für das Gespräch!

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